Die Politik liebt den Manager nicht, aber sie braucht ihn noch. Vor der Wahl wird sie ihn nicht austauschen

Kaum hatte die Deutsche Bahn diese Woche die Ausspähung von 173 000 Mitarbeitern eingeräumt, begann das Kesseltreiben gegen Vorstandschef Hartmut Mehdorn. Die FDP forderte einen Untersuchungsausschuss, die Grünen seinen Rücktritt. Aus der SPD hieß es, man suche nun ernsthaft einen Nachfolger, und die Bundesregierung rügte den Bahnchef öffentlich.

Doch die Attacken auf Mehdorn sind Theaterdonner, alte Rituale bei Pannen im Bahnkonzern. Tatsächlich ist kaum jemandem mit Einfluss daran gelegen, Mehdorn abzuschieben. Mit seiner ruppigen Art ist er genau der Richtige auf dem Schleudersitz des Bahnchefs.

Was man in der Koalition von Mehdorn wirklich hält, ließen die Äußerungen von Thomas Steg erkennen. Der Vizeregierungssprecher forderte zwar "unverzüglich Aufklärung" im Datenschutzskandal. Doch zugleich versicherte er, ohne dass es an dieser Stelle nötig gewesen wäre: "Mehdorns unternehmerische Leistungen sind unbestritten." Ähnlich lief es, als Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) Mehdorn im vergangenen November bei den Bonuszahlungen für den Bahnvorstand ausbremste. Zwar erhielt Mehdorn einen sanften Tadel, doch auch hier ließ Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) von ihrem Sprecher versichern: "Manchmal werden kantige Persönlichkeiten gebraucht."

Kantig ist er, der Bahnchef, und das muss man auf diesem Posten sein. Wenn Züge ausfallen, zu spät sind, wenn die Toiletten im ICE verstopft sind - immer ist Mehdorn schuld. Ein Bahnchef braucht ein dickes Fell und Blitzableiterqualitäten. Mehdorn hat beides. Er teilt gern aus, aber einstecken kann er eben auch ganz gut.

Mehdorn überlebte 2003 die Attacke seines einstigen Mentors Gerhard Schröder, damals Bundeskanzler, der ihn nach dem Scheitern des neuen Preissystems namens PEP demütigend zurückpfiff. Er stand es durch, dass Tiefensee ihn im Tarifkonflikt mit den Lokführern öffentlich an die Kandare nahm und zum Einlenken zwang, ebenso bei den Bonusprämien und dem Bedienzuschlag. Er schluckte das Gezerre um das Glasdach des Berliner Hauptbahnhofs und ließ sich von der SPD den Gewerkschaftschef Norbert Hansen als Personalvorstand aufzwingen. Anlässe zum Abtreten hatte Mehdorn reichlich. Gelegenheiten, ihn abzulösen, gab es ebenfalls genug. Aber jede Bundesregierung hält an ihm fest - und er an der Bahn.

Natürlich macht Hartmut Mehdorn diese Konflikte durch seine Starrköpfigkeit schlimmer, als sie sind, und zieht durch seinen "Platz da"-Kurs einen Gutteil der Probleme an. Aber vieles spricht dafür, dass er sein Amt bis zum Vertragsende 2010 behalten darf. Bald ist Wahlkampf - und die Koalition wird einen Teufel tun, das Raubein auszuwechseln. Ein neuer Mann brächte noch mehr Unruhe ins Unternehmen, das angesichts des verschobenen Börsengangs, kaputter ICE-Achsen und der Tarifkonflikte genug Probleme hat.

Quelle: Die Welt vom 1. Februar 2009.