Der Nahverkehr in Nordrhein-Westfalen könnte völlig umgekrempelt werden. Die großen Verbände und auch die Kommunen könnten an Einfluss verlieren. Gewinner wäre die Bahn AG.

Die drei großen Verkehrsverbünde in Nordrhein-Westfalen befördern jeden Tag rund sieben Millionen Fahrgäste. Jetzt sollen sie offenbar wichtige Aufgaben abgeben. Auch die Kommunen, die den Kurs der Verbünde Rhein-Ruhr (VRR), Rhein-Sieg (VRS) und Nahverkehr Westfalen Lippe (NWL) bisher deutlich mitbestimmen, könnten künftig weniger Einfluss auf die Organisation des Nahverkehrs an Rhein und Ruhr haben.

Das geht nach WAZ-Informationen aus Plänen der amtierenden CDU-geführten Landesregierung wie auch der SPD hervor, die sich derzeit bemüht, eine Minderheitsregierung zu bilden. Die Pläne laufen zum Teil auf die Gründung einer Landesverkehrsgesellschaft hinaus, die künftig auch über die Vergabe von regionalem Bahnverkehr entweder an Privatbahnen oder an die staatliche DB Regio mitentscheiden soll.

Planspiele zur Einführung einer Landesgesellschaft

So denken die Sozialdemokraten an die „Einführung einer Landesgesellschaft Öffentlicher Personennahverkehr“, die die „Interessen der Verkehrsverbünde bündeln“ soll – auch, um gegenüber „externen Partnern“ wie der Bahn AG „stärker auftreten zu können“.

Ähnliche Reformbemühungen treibt der amtierende CDU-Verkehrsminister Lutz Lienenkämper voran und hat dazu Vereinbarungen getroffen: Das Wirtschaftsberatungsunternehmen Price Waterhouse Cooper (PWC) wurde nach der WAZ vorliegenden Dokumenten von der Landesregierung nicht nur beauftragt, die Aufteilung der Regionalisierungsmittel auf ihre Stichhaltigkeit zu prüfen. Es soll bis zum 30. Juni auch einen Vorschlag für die „optimierte Umsetzung der gesetzlichen Aufgabe“ entwickeln, konkret zu „Planung, Organisation und Ausgestaltung des Schienenpersonennahverkehrs“ in Nordrhein-Westfalen. Dabei waren die drei großen Verbünde in ihrem heutigen Umfang erst 2008 aus sieben regionalen Nahverkehrsgemeinschaften zusammengeschnitten worden.

Unruhe in den Kommunen

Die Düsseldorfer Pläne sorgen in den Verkehrsverbünden wie auch unter Kommunalvertreten für Unruhe und für viele Gerüchte. „Die Hintergründe konnten bisher nicht abschließend geklärt werden und lassen Raum für Spekulationen über das damit verfolgte Ziel“, heißt es beim Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR). Denn es geht nicht nur um die Neuaufteilung von Einfluss, sondern um viel Geld. Jährlich fließen rund 800 Millionen Euro an Regionalisierungsmitteln nach NRW. Sie werden über die Verbünde nach Ausschreibungen einzelner Strecken an private Bahngesellschaften oder die Staatsbahn weitergereicht.

NRW-weit befährt die Bahn AG noch 75 Prozent der Strecken, Privatbahnen aber bereits 25 Prozent. Experten glauben, dass es bei der Neuorganisation im Kern um die Grundsatzfrage geht, wie weit Bahnverkehr in NRW privat betrieben werden soll. Der Gelsenkirchener Rhein-Ruhr-Verbund warnt die Landesregierung, „nicht die Monopolstellung der DB AG zu zementieren“.

Privatbahnen könnten verlieren

Weitgehend privatisiert ist der Schienennahverkehr vor allem im westfälischen Landesteil, am wenigsten im Rheinland. In Umfragen hatten Fahrgäste den Service der privaten Bahngesellschaften gelobt. Sie seien oft pünktlicher und sauberer als die Züge der Bahn AG. Wegen mangelnder Leistung liegt auch der VRR mit der Staatsbahn über Kreuz. Mit einem vom Land initiierten Kompromiss konnte eine Vertragskündigung zwar vermieden werden. Jedoch soll nach einem Einspruch der Privatbahn Abelio gegen den Kompromiss das Oberlandesgericht am Donnerstag in der Sache urteilen.

Experten erwarten, dass nach einem Umbau der Nahverkehrsstrukturen in NRW vor allem die Privatbahnen weniger vom Kuchen erhalten könnten: Die vom Land beauftragte Wirtschaftsberatung Price Waterhouse ist häufiger Geschäftspartner der Bahn AG - und hat deren NRW-Tochter DB Regio genau auch in jenem aktuellen Streit mit dem Verkehrsverbund Rhein-Ruhr beraten, um den es vor dem OLG Düsseldorf geht. Diese Doppelfunktion führt in den Verbünden zu weiterem Ärger. Price Waterhouse muss zur Erfüllung des Landesauftrags Einblick in die Geschäftsunterlagen der Verkehrsverbünde und auch der von diesen beauftragten Privatbahnen nehmen. Der westfälische Verbund hat die Herausgabe der Daten deshalb bereits abgelehnt.

Der grüne Verkehrsexperte und Landtagsabgeordnete Horst Becker deutet aber den Widerstand seiner Fraktion an, wenn unter der neuen Minderheitsregierung in Düsseldorf versucht werden sollte, über eine Landesverkehrsgesellschaft der Staatsbahn die Aufträge zuzuschanzen: „Das ist mit uns nicht zum machen“.

Quelle: WAZ Mediengruppe

Kommentar: Der Wettbewerb hilft – von Dietmar Seher

In NRW sind jeden Tag sieben Millionen Menschen mit Bussen und Straßenbahnen, S- und Regionalbahnen unterwegs. Tendenz steigend. Sie pendeln auf Lebensadern des Landes. Das ist nicht mehr nur ein Zuschussgeschäft aus dem Steuersack. Ein gut besetzter Regionalexpress fährt tagsüber zwischen Dortmund und Köln mit Gewinn.

Es geht also um viel Geld, wenn die Verkehrsverbünde die Bedienung der Strecken ausschreiben. Privatbahnen wie Abellio und Arriva bewerben sich. Und eben die Staatsbahntochter DB Regio. Gerade für die Staatsbahn ist Nordrhein-Westfalen eine Goldgrube. Sie will sie behalten.

Nicht immer ist das gelungen. Im westfälischen Landesteil dominieren private Züge. Die Fahrgäste sagen: Pünktlich, sauber, bequem. Und dort, wo sich DB Regio der privaten Konkurrenz stellen muss, wird auch der Staatsbetrieb plötzlich ganz anders - pünktlich, sauber, bequem eben.

Wettbewerb auf der Schiene hilft also den Kunden. Das muss so bleiben. Was immer das Land beabsichtigt: Ein NRW-Einheits-Verbund, wie er jetzt in Düsseldorf diskutiert wird, darf nicht den Interessen des Monopolisten Bahn AG dienen, wie zu befürchten ist. Sondern denen der Kundschaft.

Quelle: WAZ Mediengruppe

NVR-Zweckverband lehnt Gründung einer Landeseisenbahngesellschaft ab

Laut Zeitungsberichten ist auf Landesebene die Gründung einer Landeseisenbahngesellschaft im Gespräch, die künftig unter anderem über Planung, Organisation und Ausgestaltung des Schienenpersonennahverkehrs mitentscheiden soll. Unter anderem soll diese Gesellschaft auch für die Ausschreibung und Vergabe von regionalem Bahnverkehr zuständig sein. Somit würde die geplante Landeseisenbahngesellschaft in die Kernaufgaben der Verkehrsverbünde einwirken und deren Kompetenzen massiv beschneiden.


Der Hauptausschuss des Zweckverbandes Nahverkehr Rheinland lehnt die Gründung der Landeseisenbahngesellschaft ab und hat in seiner heutigen Sitzung folgende Resolution verabschiedet:

1. Die kommunale Zuständigkeit für Planung, Organisation und Finanzierung des SPNV ist wichtig und hat zu einer deutlichen Effizienzsteigerung geführt.

2. Das Landesinteresse wird durch die Vorgabe von „Maßnahmen von landespolitischer Bedeutung" umfassend gewährleistet. Hierzu sollte das Land koordinierend tätig werden.

3. Vor diesem Hintergrund lehnt der ZV NVR die Gründung einer Landeseisenbahngesellschaft ab. Eine effiziente Wahrnehmung der lokalen und regionalen Ausgestaltung des SPNV ist durch eine Aufspaltung der Zuständigkeiten gefährdet. Darüber hinaus wäre eine wirtschaftliche Ausgestaltung des gesamten SPNV-Netzes (RE, RB, S-Bahn) in der Region nicht zu gewährleisten.

4. Die im Landtag vertretenen Fraktionen werden aufgefordert, sich in diesem Sinne einzusetzen.

„Es ist wichtig, dass Entscheidungen in Kenntnis der Situation vor Ort in der Region selbst getroffen werden. Die Entscheidungsträger haben in den vergangenen Jahren bewiesen, dass sie die Ausschreibungsmöglichkeiten zur Steigerung der Effektivität und Wirtschaftlichkeit des Schienenpersonennahverkehrs zum Wohle des Kunden konsequent nutzen", sagte der Vorsitzende des Zweckverbandes Nahverkehr Rheinland, Karsten Möring.

„Die Gründung einer Landeseisenbahngesellschaft führt zu einer Fehlentwicklung, die eine höchst negative Wirkung auf das Schienennetz und den Schienenpersonennahverkehr in Nordrhein-Westfalen haben wird. Die derzeitige Verbundstruktur hat sich bewährt und sollte beibehalten werden. Die Finanzierung insbesondere des bestehenden S-Bahn-Verkehrs kann nur auf diese Weise aufrechterhalten und gesichert werden", sagte Gerhard Zorn, Vorsitzender der SPD-Fraktion im Zweckverband Nahverkehr Rheinland.

„Wir lehnen die Gründung einer Landeseisenbahngesellschaft ab. Eine Aufspaltung der Zuständigkeiten ist unnötig, denn bereits jetzt sind die Interessen des Landes gewährleistet. Auch wenn wir nicht immer völlig glücklich mit der Verbundstruktur sind, sollte die Zuständigkeit für Planung, Organisation und Finanzierung des SPNV unter kommunaler Kontrolle bleiben. Wir möchten verhindern, dass sich das Land die umsatzstarken Strecken sichert und die Kommunen nur noch für die schwach ausgelasteten Strecken verantwortlich sind", sagte Andreas Wolter, Fraktionsvorsitzender der Grünen im Zweckverband Nahverkehr Rheinland.

Die Resolution wurde einstimmig von CDU, SPD, Grünen und FDP verabschiedet und wird nun an die NRW-Landtagsabgeordneten übergeben.

Verantwortlich für den Inhalt dieser Meldung: VRS Verkehrsverbund Rhein-Sieg.